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Schach ist längst advanced, aber wir tun immer noch so, als spielten da zwei Menschen gegeneinander

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06.12.2021
2 Min Lesezeit

Nächstes Jahr jährt sich ein legendärer Moment in der Geschichte der Künstlichen Intelligenz zum 25. Mal. Es war ein Schock: KI hatte richtig gut Schach spielen gelernt - eigentlich dachte man, die Komplexität des Schachbretts liesse sich nicht vernünftig "durchrechnen", der Mensch wäre da mit seinem intuitiven Gefühl für gute bzw. schlechte Stellungen der Maschine für immer einen Schritt voraus. Aber dann, Mai 1997: Der Deep-Blue-Schachcomputer schlug den amtierenden Weltmeister Garry Kasparov. Das ist aber nicht die Moral von der Geschicht (Maschinen lernen jedes Spiel, früher oder später). Legendär ist der Moment, weil Kasparov aus der Demütigung ein Zukunftsversprechen machte: er nannte es "Advanced Chess".

Advanced Chess ist nicht mehr ein Ringen von Mensch gegen Mensch, es ist eine Mannschaftssportart: in Zukunft sollten jeweils Teams von Mensch und Maschine gegeneinander antreten, schwebte Kasparov vor. Da sich die Fähigkeiten von Hirn und KI gegenseitig ergänzen, würde Schach so auf ein ganz neues Niveau gehoben - es würde eine "avancierte" Variante von Schach entstehen, mit Spielzügen und taktischen Varianten, von denen in den Schachlehrbüchern rein gar nichts zu lesen ist. Kasparov hat zum 20. Jubiläum seiner Niederlage ein lesenswertes Buch geschrieben: Deep Thinking: Where Machine Intelligence Ends and Human Creativity Begins.

In der Folge gab es ein paar Versuche, die Idee als Turnierformat zu etablieren - wirklich durchsetzen konnte sich advanced chess allerdings nicht. Oder? Die FAZ berichtete letzte Woche über den ominösen Springerzug des Magnus Carlsen am aktuellen WM-Match gegen Jan Nepomnjaschtschi.

Schach-Weltmeister Magnus Carlsen verblüfft bei der WM mit einem Zug, der dem ersten Anschein nach zuvor noch nie gespielt wurde. Doch sein Gegner Jan Nepomnjaschtschi wirkt gefasst. Warum?

Ganz einfach: weil beide Schachgiganten ihre Spielweise sehr stark auf die Expertise von Maschinen stützen. Die Vorbereitung und Analyse der Partien wird nach wie vor mit einem Beraterteam bestritten, aber eben auch mit den besten Schach-KIs. So werden überraschende Varianten erarbeitet, aber auch bereits die passenden Antworten. Ob das Spiel damit auf ein anderes Level kommt? Manche Beobachter haben Zweifel: Führt die Maschinenverstärkung der Schach-Geniehirne einfach zur Neutralsierung des Spiels, also zu grosser Langeweile?